Wie kann ich die Welt (noch) zulassen?

Was dort ist, ist auch da. (Statue „Le Voyage Immobile“ von Denis Perret-Gentil in Yverdon-les-Bains). Foto: Urs Zangger

Die Welt zulassen? Sie war doch schon da, bevor ich «auf die Welt» kam! Jeden Tag gehe ich in ihr schlafen, jeden Tag erwache ich in ihr. Teilweise ist sie mir vertraut. Momente gibt’s, da zeigt sie sich mir anders als erhofft.

«Ich schaue kaum noch fern, mir kommt alles zu nah!», höre ich in meinem Umfeld vermehrt. «Bis zum nächsten Winter zählt für mich nur noch mein Garten», vertraut mir jemand an, «ich giesse und jäte, es wirkt.» Ohnmacht ist weg. Gegen Schädlinge weiss sich die Person zu helfen. Und übersichtlich bleibt’s.

Informationen möchten das auch: Übersicht verschaffen in dem, was geschieht, auf Einzelnes deuten und Zusammenhänge erhellen. «Welt» wird lesbar, befragbar, wir können uns für sie interessieren und uns zu ihr so oder anders verhalten. Unser Welt-Verhältnis ist ein ganz persönliches. Mit dem, was wir denken, sagen und (nicht) tun, gestalten wir sie mit andern, die auch denken, sprechen und so und so handeln. Wir erleben uns dabei selbst als «Welt», bewegen uns in ihr.

Das wird schnell anders, wenn wir uns überfordert fühlen, wenn wir viel wissen und wenig machen können. Statt in eine Selbstermächtigung bringen uns Informationen in eine Ohnmacht. Ob wir in den Welt-Zusammenhängen, aus denen wir uns nicht lösen können, beziehungsfähig bleiben?

Vielleicht können wir auf Wertungen verzichten, uns in einem «Ja» üben und schauen, was es in uns bewirkt: Ja, auch in dieser Nachricht über dieses inszenierte Leid zeigt sich mir jetzt die Welt.

Ich heisse nichts gut, ich lasse die «Welt» zu mir – es sind Menschen, Tiere, die Natur.

Was «Welt» ist, kommt mir im Garten wie in den Nachrichten entgegen. «Ich trage alles in mir», schrieb Etty Hillesum in ihrem Tagebuch im Durchgangslager in Amsterdam anfangs der 40er Jahre. Das Erleben der Gegenwart von Gott in der «Welt», machte es ihr möglich, noch im Bedrängenden und Aussichtslosen für das Leben offen zu bleiben. Und blieb den Menschen ein erreichbarer Mensch.

Wem eine ähnliche Wahrnehmung fremd ist, staunt unter Umständen in einem Wald, wie alles Einzelne vielfach aufeinander bezogen ist und einen einzigen Lebensraum bildet. Und kann darin aufatmen und aufleben. Wir sind uns gut, unsere Ressourcen zu kennen und zu uns selbst Sorge zu tragen, wenn wir die Welt zu uns lassen.

Was sich für mich bewährt: Ich bin mir bewusst, Nachrichten sind als Mittel gegen die Leere im Alltag oder als «Bettmümpfeli» nicht geeignet. Nachrichten höre/lese ich, wenn ich für sie innerlich bereit bin. Mit allem kann ich mich nicht beschäftigen. Ich wähle im Nachhören einzelne Beiträge aus. Ich verzichte auf Medien, die mich mit Emotionen und Stimmungen binden oder auf etwas einschwören wollen. Gerne nehme ich Hintergrundberichte hinzu, gelegentlich auch ein Sachbuch. News lerne ich in Zusammenhängen «verstehen». Ich suche mir Personen aus, mit denen ich darüber spreche. Ich bin mir bewusst: Die Wirklichkeit ist komplex, ein differenzierender Journalismus wird ihr am ehesten gerecht.

Urs Zangger, Pfarrer

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