Neuentdeckungen

«Darf man hier rein?», fragte mich eines der Kinder, die gerade eine Art «Versteckis» rund um die Kirche Nidau spielten. Der Junge stellte die Frage, nicht um sich in der Kirche zu verstecken, sondern einfach aus Neugierde. Spontan lud ich die Kinderschar dazu ein, kurz einen Blick in die Kirche zu werfen. Denn ja, natürlich darf man in die Kirche.

So befand ich mich am Gründonnerstag unverhofft in der Kirche Nidau; vor mir zehn Zwölfjährige, die sich gleich vorne in den Chor setzten und interessiert den Raum bestaunten. Ein paar Kinder fingen an zu erzählen, dass sie schon mal in der Kirche waren; andere waren das erste Mal da. Fasziniert von all den Eindrücken ergab sich ein spannender Austausch zwischen den Kindern und mir. Natürlich blieb die Orgel nicht unentdeckt. Gut, hatte ich gleich einen Termin mit unserer Kirchenmusikerin Ursula Weingart.

Die Kinder bewegten sich hoch zur Orgel. Eine schwungvolle und freudige Stimmung herrschte in der Kirche. Ich musste etwas schmunzeln, als die Kinder sich gegenseitig dazu anhielten, nicht so laut die Treppe hoch zu stampfen. Es war, als wollten sie zur Kirche Sorge tragen. Als Ursula zu uns kam, setzte sie sich gleich hinter die Orgeltasten und spielte den Kindern etwas vor. Sie zeigte, wie sich der tiefste und der höchste Ton anhören und auch, wie laut die Orgel spielen kann.

Für alle war es eine schöne Erfahrung, miteinander die Kirche Nidau (neu) zu entdecken. Ich persönlich erlebe oft, dass das Leben durch Kinderaugen viel realer und farbiger wahrnehmbar ist. So auch Kirche und Gott.

Liebe Leserinnen und Leser, während Sie diese Zeitung in Ihren Händen halten, spüren Sie vielleicht auch wie ich Vorfreude und Nervosität in Ihrem Umfeld. Denn für einige fängt nach den Sommerferien ein neues Kapitel an. Ihr Kind, Gross- oder Nachbarskind kommt in die Schule, in die nächste Klasse oder beginnt eine Lehre. Auf den Strassen sieht man, wie Kinder stolz mit ihren neuen Schulsäcken auf dem Rücken durch das Dorf marschieren. Mutig und sicher – auch etwas nervös, schreiten sie in neue «Räume», die darauf warten, entdeckt und erforscht zu werden.

Auch auf uns alle warten immer wieder neue Räume. Türen öffnen und schliessen sich in unserem Leben. Türschwellen markieren den Übergang zu diesen Räumen. Damit dies stolperfrei geschehen kann, müssen die Schwellen tief genug sein oder wir müssen darauf achten, einen grossen Schritt zu machen. Das wundervolle Erlebnis an diesem Nachmittag im April zeigt mir, dass Kirche als Raum lustvoll entdeckt werden will. Wenn die Kirche Nidau reden könnte, könnte ich mir gut vorstellen, dass es ihr auch gefallen hat, wie ihr Innenraum von der Kindergruppe belebt wurde.

Welche Erfahrungen wir alle in Kirchenräumen machen, ist individuell. Es kann sich für einige vielleicht wie ein Museumsbesuch anfühlen, für andere wie ein kraftspendendes Durchatmen oder ein Gefühl, Gott nahe zu sein. Wie ein Mensch den Besuch einer Kirche erlebt, liegt nicht ganz in unseren Händen. Aber unsere Hände können winken und Türen öffnen. Jeder Raum birgt einen Erfahrungsschatz. Auch der Kirchenraum. Ich wünsche Ihnen Mut, Neugierde und Gottes Segen für die neuen Kapitel, die auf Sie warten.

Sozialdiakonin Christina von Allmen