Was finden Sie heilsam, beglückend und stärkend in diesen Frühlingswochen – geistlich, geistig, «für ds Gmüet» oder auch ganz praktisch, handfest?
Ich kenne Leute, die einige Tage fasten, allein oder in Gruppen. Oder Menschen, die den «lohnenden Verzicht» üben und in der Fastenzeit beispielsweise auf Alkohol, Süssigkeiten, Fernsehen verzichten. Für andere gehört das Pflanzen und Aussäen in Gärten und Töpfen dazu. Für einige der Frühlingsputz. Für viele auch Osterbräuche wie Kräuter sammeln und Eier färben.
Und für manche ist jetzt auch die Zeit der Passionsmusik. Jedes Jahr singt irgendwo in der Nähe ein Chor die bekannte Johannes- oder Matthäuspassion von Johann Sebastian Bach und lockt damit ein breites Publikum ins Konzert. Die Passionsgeschichten der Bibel erzählen den Leidensweg von Jesus, angefangen von der Gefangennahme im Garten Gethsemane, über die Verhöre vor dem Hohen Rat, Herodes und Pilatus, die Verurteilung und Kreuzigung durch römische Soldaten, bis hin zu Tod und Grablegung.
Die Tradition, diese Passionsgeschichte (= Leidensgeschichte) in voller Länge zu singen und in der Karwoche aufzuführen, gibt es schon seit dem Mittelalter. Und auch in unserer multikulturellen und säkularen Gesellschaft stossen Passions-Aufführungen auf ungebrochenes Interesse, auch bei nicht besonders religiösen Menschen. Da ist einerseits die ergreifende Musik, oft Kompositionen für grosse Chöre und Solisten, das Szenische, ähnlich einer Oper oder eines Musicals. Und da sind andererseits die existenziellen Themen und tiefen Emotionen. Beim Singen oder Hören einer Passion wird man mitgerissen in einem grossen Drama. Man wird Zeuge von Anschuldigung, Schuldzuweisung, Verrat, Folter, Hinrichtung. Man spürt die Dynamik der Masse, unheilige Allianzen, Intrigen, Abgründe. Es ist ein dunkler Sog. Verschiedene Rollen treten auf und bieten Möglichkeit zu Identifikation oder Abgrenzung. Eine Passionsaufführung berührt und nimmt mit. Ostern erscheint in einem helleren Licht, wenn an Karfreitag die Vorgeschichte, die Passion, bis zum bitteren Ende erklungen ist.
Am Karfreitag wird in der Kirche Nidau auch eine Passionsgeschichte mit Chor und Orchester aufgeführt, gesungen und gelesen. Es handelt sich um ein Passionswerk, das nur selten zur Aufführung gelangt, eine kostbare Rarität. Als Text liegt das Markus-Evangelium zu Grunde. Wer dieses Werk, das der Chor Ipsach singen wird, in seiner ersten Fassung komponiert hat, ist nicht eindeutig geklärt: Nicolaus Brauns? Reinhard Keiser? Sicher hat es seit seiner Entstehung vor mehr als 300 Jahren verschiedene Überarbeitungen gegeben. Auch der berühmte Bach hat darauf zurückgegriffen und dabei gewisse Teile mit Eigenem ersetzt. Das war und ist erlaubt. Denn solche Aufführungen dürfen beweglich und variierbar sein. Sie eignen sich nicht nur für den Konzertsaal, sondern auch für einen Gottesdienst – das war ja ursprünglich ihr Sitz im Leben und der Auftrag an die Komponisten. Chorleiterin Mona Spägele hat das Werk für die Aufführung in Nidau so arrangiert, dass auch die Gemeinde mit bekannten Chorälen mitsingen kann. Vielleicht werden auch Sie Teil der Aufführung?
Pfarrerin Silvia Liniger
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