Aus demselben Holz geschnitzt?

War er einfach aus dem Geäst heruntergefallen? Oder hat ein Hund ihn gefunden und mitgetragen, bis ein anderer Reiz seine Aufmerksamkeit fesselte? Oder war’s ein Kind, das ihn auf dem Waldweg liegen liess? Ein alter Mann kommt, mit Schiebermütze, so wie alte Männer Schiebermützen tragen, entdeckt den Knebel vor seinen Füssen, bückt sich, hebt ihn auf, prüft ihn. Was er in ihm erkennt, will er bei sich zuhause zum Vorschein bringen.

Der alte Mann singt auch gern, Tenor mit Tremolo, und singt auch für sich. Er macht sich also singend ans Werk, mit Messband und Bleistift, Bohrer und Säge. Es dauert. Es dauert wirklich, aber dann gibt der Knebel frei, was in ihm angelegt war: Eine Holzkette, aus einem einzigen Stück Holz! Ein Kettenglied ist mit dem andern verbunden, ohne dass da etwas hätte zusammengefügt werden müssen! «Generationenkette» nannten wir sie. Der alte Mann ist glücklich. So viel Leben in seiner Hand!

Als er starb, sprach weniger ich als eben diese Holzkette ein Wort zum Abschied, jetzt, da er die Schiebermütze nicht mehr brauchte und andere sangen, auch für ihn, vier Generationen. Und wie Jahre später die sterbende Witwe die Augen nicht mehr öffnen mochte, griff sie nach derselben Kette wie nach einem Rosenkranz: Spürt man, zu wem man gehört, kann man seinen Weg gehen, ohne sich verloren zu wähnen …

So geht diese Geschichte. Und ist jetzt eine Geschichte. Wie anders könnten Generationen das Bewusstsein pflegen, dass sie zusammengehören? Eine Generation ohne Geschichten wäre wirklich eine verlorene Generation. Sie stünde alleine da – ein Widerspruch in sich. Noch mehr: Eine Illusion! Eine Generation kann gar nie alleine stehen. Generationen sind von einer anderen Generation gezeugt, sagt das Wort selbst! Das kann verlegen machen: Müssen wir denen dankbar sein, die uns Leben weitergegeben haben, oder gar verantwortlich für sie sein – wie fest denn eigentlich – wenn sie alt werden? Und andersrum: Was, wenn eine jüngere Generation nicht mit dem Wohlwollen, der Anerkennung der älteren rechnen kann? Wer möchte auf diesen Segen verzichten? Aufmerksamkeit und Wertschätzung bahnt sich Wege in beide Richtungen!

Generationen teilen oft nicht ähnliche Vorstellungen. Sie bewegen sich in unterschiedlich grossen Zeiträumen und sind zur selben Zeit mit unterschiedlichen Herausforderungen beschäftigt. «Wie war das für Dich, als Du…» und «Wie erlebst Du das, wenn Du …?» Wechselseitiges Fragen bringt zusammen, wer sonst einander fremdbliebe. Das Fragen weckt, Gefragte erwachen und Fragende werden sich grösserer Zusammenhänge bewusst. Während Wertungen töten, feiern Fragen Auferstehung! Es ist durchaus möglich zu erfahren, wie sich da und dort Bedürfnisse und Lebensthemen überraschend gleichen, auch wenn sie persönlich verschieden entwickelt wurden und werden. Selbst überlieferte Glaubensgeschichten beginnen als Generationengeschichten neu zu sprechen – in den Lebensbewegungen vom Suchen und Finden, vom Sich-Verlieren und Gefunden-Werden, vom Verfehlen und Gelingen, vom Hinfallen und Aufstehen, vom Tod und vom Leben.

«Ich–du–wir–ihr»…DerKirchensonntag vom 6. Februar öff- net die Tür zu einer Begegnung zwischen Generationen.

Urs Zangger, Pfarrer in Nidau