In feinem Lila und satterem Violett fliesst Tageslicht durch die grosse Rosette über Haupteingang und Orgelpfeifen ins Innere und erfüllt den Raum. Auch wir selbst tragen für einen Augenblick dieselben Farbtöne und werden Teil des «Schau»-Spiels. Wer drin ist, kann nicht bleiben, wie sie oder er ist. Der Raum steht für Wandlung.
Menschen kommen und gehen. So ist das Leben. Und so ist es auch hier. Wie sie auch immer wieder weggehen werden, sie kommen in verschiedenen Rollen. Kommen als Neugierige, als Geschichts- und Kunstinteressierte, als Konzertbesucherinnen und -Besucher, als Angekommene (wenn sie den Pilgerweg hierher erlaufen haben), als Suchende, oft als Hörende, als Gott Feiernde und immer wieder als Betende … Mit was für Vorstellungen über Leben und Tod, über «Gott und die Welt» sie alle kommen … mit welchen Eindrücken und Prägungen?
Faszinierend, was für eine Macht Räume haben können! Sie vermögen Menschen zusammenzuführen, die schnell ihre Verschiedenheit erfahren werden, sobald sie miteinander zu sprechen beginnen. So verschieden sie auch sein mögen, jetzt gestalten sie alle zusammen die Atmosphäre im grossen Raum. Im Geräumigen gibt’s Gesellschaft. Weite braucht’s in dem, was uns verbindet. Räumlich in der Architektur, räumlich auch in unserem Denken: Können wir andern, die unseren Ideen nicht entsprechen, Platz lassen oder sogar Platz geben? Wir bauen – ob religiös, ob nicht religiös – unsere eigenen Gedankengebäude, mit wieviel Schlüssigem, mit welcher Offenheit?
Der letzte Stein des «Nidaros» dürfe nicht gesetzt werden, wird hier in Trondheim (Norwegen) erzählt. Sonst rutschten Dom und Stadt ins Meer und gingen unter. Was wir verstehen können: Bewegen wir uns nur noch im Schlüssigen und Geschlossenen, suchen wir Gleichschaltung, damit etwas «richtig», «rein» und «wahr» sei, schaffen wir Polarisierungen, um etwas auf die Spitze zu treiben, verengen wir Glaube zur Ideologie: Wir wären verloren!
Der Bettag im September ist «eidgenössisch». Wir brauchen Weite in Verbundenheit. Gesellschaft gibt’s nur geräumig. Und wer sich in der Verbindung mit Gott erfährt, findet vielleicht gerade im Beten die Möglichkeit sich zu öffnen … gegenüber den andern, die anders zu sein scheinen als man selbst. Ohne Wenn und Aber. Einfach mit einem Ja. «Ja, Du bist … bist ein Du für mich.»
Pfarrer Urs Zangger