Eine geteilte Träne der Freude, des Lachens oder des Schmerzes. Wie gut kann es tun, wenn ich merke, dass jemand mit mir fühlt. Geteilte Gefühle verbinden. Wärme und Nähe entsteht. Von da her überrascht es mich nicht, in der Bibel zu lesen: «Habt Mitgefühl füreinander!» (1. Petrus 3,8).
Was ist denn eigentlich Mitgefühl? Es unterscheidet sich vom Mitleid darin, dass es jegliche Art von Gefühlen umfasst, also nicht nur Leid, sondern auch Freude oder Begeisterung. Mitfühlen ist ein innerliches Mitschwingen, ein Mitgehen, das das Gegenüber wahrnimmt.
Wenn eine Person mit mir fühlt, spüre ich, dass ich dieser Person nicht gleichgültig bin. Das tut mir wohl. Ich fühle mich wahrgenommen. Und es tut mir gut, in Freude und Leid nicht alleine zu sein.
Mitfühlen ist nicht nur eine Zurkenntnisnahme des Leidens anderer. Mitfühlen ist zudem ein emotionales Mitschwingen. Es bewegt gegenseitig Herzen. Das französische «résonner» drückt es gut aus: die Schwingungen eines Klanges lassen mich auf der gleichen Frequenz mitschwingen.
Wie sehr unterscheidet sich ein «es chunnt de scho guet», wenn es in Resonanz gesagt wird oder wenn das Mitschwingen fehlt . So kann uns eine Träne, die eine andere Person unseretwillen vergiesst, trösten, weil das Gegenüber im Moment ähnlich empfindet. «Ah, sie versteht mich!» Und das tut gut. Wir fühlen uns gesehen, wahrgenommen, in Freud oder Leid.
Im Mitgefühl kann man auch ertrinken, weil es nichts verändert. So können Mitgefühl und Trost die Selbstverantwortung untergraben. Mitgefühl als schmerzlindernde Salbe auf die Wunde. Diese Arznei ist dann Ware, die Pfarrpersonen oder Therapeuten verkaufen. Trost-Empfänger sind in der Regel treu, solange nicht die Ursachen der Wunde angegangen werden. Darum macht es meines Erachtens Sinn, mich früher oder später auch zu fragen: Was soll anders werden, damit es mir oder anderen besser geht?
Ich befürchte in unserer druckvollen Zeit weniger, dass jemand zu viel Mitgefühl erhält und dadurch verweichlicht wird – obwohl es dies auch gibt. Mitgefühl ist eher Mangelware. Darum möchte ich Wirkung des Mitgefühls weiter entdecken:
Sie kennen vielleicht eine Person, die Ihnen Mühe macht. Haben Sie auch schon versucht, sich zu erklären, warum dieser Mensch so handelt oder spricht? Was geschieht nun, wenn nebst dem Verständnis das Mitgefühl dazu kommt? Also: Was hat diese Person wohl in ihrem Leben alles für Gefühle gehabt? Wurde sie oft geplagt und wehrte sie sich nicht? Kann ich dieses Gefühl der Machtlosigkeit auch in mir spüren? Kein Wunder, ist sie jetzt oft aggressiv oder hat er kaum Energie. War eine andere Person stets von liebevoller Fürsorge umgeben? Wie fühlt sich dieses wohlige Versorgtwerden an? Kein Wunder erträgt dieser Mensch wenig Frustrationen, wenn er so warm umsorgt wurde. Mitfühlen geht also einen Schritt weiter als Verstehen. Es hilft, Personen, die ich nicht verändern kann, vermehrt anzunehmen, wie sie sind.
Mitfühlen, die Schwingungen anderer aufnehmen und in sich selbst erklingen lassen. Es lässt mich Personen, die mir nicht unbedingt liegen, gefühlt näher kommen und entwickelt so mein Verständnis für sie. Mitfühlen führt zu dem, was in der Bibel «herzliches Erbarmen» genannt wird (Kolosser 3,12). Darum: «Habt Mitgefühl füreinander!» Oder, wie es ein chinesisches Sprichwort sagt: «Gebt denen die hungern, von eurem Reis, gebt denen, die leiden, von eurem Herzen.»
Pfarrer Peter Geissbühler