Ursprünge der Kirchenmusik

Wer in der heutigen Zeit als Kirchenmusiker*in tätig ist, kann aus dem Vollen schöpfen, denn es steht eine so grosse Vielfalt an Stilen zur Verfügung wie nie zuvor. Für jeden Gottesdienst, jede Feier lässt sich aus diesem Fundus eine geeignete Wahl treffen. Die Stile lassen sich auch mischen, Barock oder Klassik kann sich mit Jazz zusammen zeigen, wenn damit die Aussagen und Wirkungen des Wortes verstärkt und untermalt, manchmal auch ergänzt oder kontrastiert werden.

Wenn ich über die ganze Entwicklung der Musikgeschichte der letzten 2000 Jahre blicke, erscheint sie mir als eine besondere Art Evolution des menschlichen Geistes, natürlich auch abhängig von den ganzen soziologischen Verschiebungen, von geschichtlichen Ereignissen oder auch von wissenschaftlichen Entdeckungen und Erfindungen wie zum Beispiel dem Notendruck um 1500 (als logische Folge der Erfindung des Buchdrucks um 1440), nachdem überhaupt brauchbare Notationen entwickelt worden waren. Ohne letztere verklingt die Musik einer Epoche unwiderruflich, wie bei den vorchristlichen Hochkulturen der Altägypter, der Sumerer oder der Babylonier, die aber, wenn schon keine Musik, so doch eine Fülle an Kultur- und Schriftdenkmälern hinterlassen haben.

Wieso aber hat diese einzigartige Entwicklung der Musik im Abendland gerade in dieser Zeitspanne seit der Geburt von Jesus Christus stattfinden können? Wie hängt das zusammen?

Einerseits haben sich die Urchristen in ihrer Musikausübung von der Antike abgrenzen wollen, vor allem von Griechenland, das ja auf jedem Gebiet, auch in Bezug auf die Musik, sehr erfindungsreich war. Andererseits wurde damals auch nicht die Musik neu erfunden, es waren diverse Einflüsse da, vor allem vom Tempelgesang der Juden und von den syrischen Hymnen.

Im christlichen Gottesdienst wurden dann die Instrumente untersagt. Gründe waren eine bessere Verständlichkeit des Textes, Abgrenzung gegen heidnische Riten und die Ablehnung des Luxuriösen.

Der Keim für die Entwicklungsfähigkeit bis zu den komplexen Formen des 19. bis 21. Jahrhunderts scheint mir die Sprache zu sein und dass die Musik mit dem Text eine Einheit bildete und auch so empfunden wurde.  

Die Musik hat so die Bausteine der Sprache von den Lauten über die Silben zu den Wörtern, Sätzen und schliesslich ganzen Geschichten übernommen.

Die gotischen Kathedralen waren dann der Untergang von fast einem Jahrtausend einstimmiger Gesänge, da die vielfachen Echos des Raumes die Klänge multiplizieren, wenn die Wände die Töne zurückwerfen. So entstand von selbst mehrstimmige Musik.

Die Anfänge der Entwicklung der abendländischen Kirchenmusik bis zum heutigen Pluralismus sind in dem Umstand verborgen, dass die Menschen damals durch das Christusereignis ergriffen wurden, es als etwas Heiliges erfahren haben, das sie auch mittels Musik ausdrücken wollten.  

Die Pfingstgeschichte war das wichtigste Ereignis für das Selbstbewusstsein der jungen christlichen Gemeinde. Die Präsenz des Heiligen Geistes im Bewusstsein des Menschen ist nicht auf die Gegenwart von Jesus in materieller Gestalt angewiesen. 

Ursula Weingart, Abteilungsleitung Musik Kirchgemeinde Nidau