Alles war anders geplant…

Beitrag von Pfarrerin Silvia Liniger zum Sonntag 10. Mai 2020, Muttertag

Diesen Muttertags-Gottesdienst habe ich mir noch vor ein paar Wochen ganz anders vorgestellt. Der Chor Ipsach würde singen, erstmals mit der neuen Dirigentin. Und eine Taufe war angemeldet. Es würde wohl etwas eng werden im Zentrum in Ipsach, aber hoffentlich ein schöner, frühlingshafter Sonntag sein…am Schluss würden alle Frauen noch eine Rose mitnehmen dürfen.

So war es geplant. Aber wie wir wissen, ist alles anders gekommen. Nicht nur dieser Sonntag, sondern der ganze Frühling, nicht nur in unserer Kirchgemeinde, sondern weltweit.

Typisch Frau!

Uns so werde ich Ihnen heute schriftlich ein paar Gedanken zu einem biblischen Text weitergeben. Er steht im 2. Mose/Exodus, Kapitel 1 und 2. Wörtliche Zitate daraus sind kursiveingefügt.

Passend zum Muttertag geht es in dieser Geschichte auch um Frauen und Mütter. 

Auf den ersten Blick begegnen uns in der Bibel ja immer wieder Männer in Hauptrollen, aber bei genauerem Hinsehen wird klar, dass es oft starke Frauenfiguren waren, die für den Gang der Geschichte massgeblich waren. 

Die Exodus-Geschichte erzählt von der Befreiung der Israeliten aus der ägyptischen Knechtschaft. Mose hat das Volk angeführt. Von ihm ist stets die Rede. Doch am Anfang des Lebens dieses eindrücklichen Mannes stehen gleich mehrere Frauen – und sie wirkten auf eine Art «typisch Frau». 

Ein anderer Blickwinkel

Ausgangslage: Die Hebräer/Israeliten, Nachkommen von Jakob, lebten inzwischen seit Generationen in Ägypten. Anfänglich noch willkommen und akzeptiert, mussten sie nun harte Sklavenarbeit verrichten und wurden unterdrückt. Dennoch vermehrten sie sich, was der Pharao als Bedrohung für sein Land und seine Macht empfand. Er befahl deshalb: 

Zu den hebräischen Hebammen – die eine hießSchifra, die andere Pua – sagte der König von Ägypten: Wenn ihr den Hebräerinnen Geburtshilfe leistet, dann achtet auf das Geschlecht! Ist es ein Knabe, so lasst ihn sterben!

Doch die Hebammen dachten nicht daran, sich an diese Weisung zu halten. Sie tischten dem Pharao die Geschichte auf, dass die hebräischen Frauen immer blitzschnell gebären würden, so dass sie jeweils erst eintreffen würden, wenn das Kind schon da sei. Schifra und Pua – die «Sages-femmes»– liessen sich nichts vorschreiben und gewährten dem Pharao keine Einflussnahme in ihrer Domäne. Diese Widerständigkeit segnete Gott.

Gott verhalf den Hebammen zu Glück; das Volk aber vermehrte sich und wurde sehr stark.

Doch nun erhöhte der Pharao den Druck und zeigte seine wahre Absicht: Daher gab der Pharao seinem ganzen Volk den Befehl: Alle Knaben, die den Hebräern geboren werden, werft in den Nil!

In die Zeit dieses grausamen Dekrets fiel nun die Geburt von Mose. 

Trotz Lebensgefahr verbarg ihn seine Mutter Jochebed drei Monate lang weil sie sah, dass er schön war. Es war eigentlich ein aussichtsloses, verzweifeltes Verstecken. 

Vielleicht hat ihr Mann gesagt: Komm, das bringt doch nichts, es macht alles nur schlimmer. Doch Jochebed gab nicht auf. Hat sie den Tatsachen nicht in die Augen blicken wollen? Nein, sie hatte einfach eine andere Perspektive, sie sah nämlich, dass ihr Kind schön war.

Als sie ihn nicht mehr verborgen halten konnte, nahm sie ein Binsenkästchen, dichtete es mit Pech und Teer ab, legte das Kind hinein und setzte es am Nilufer im Schilf aus.

Der legendäre Moseskorb. Dafür steht er: Loslassen, überlassen auf Hoffnung hin. Jochebed hat Mose nicht aufgegeben, sondern (Gott) hingegeben. 

Die nächste weibliche «Heldin»der Geschichte ist ein Mädchen, die Schwester von Mose. Es beobachtet vom Ufer aus, was nun mit dem Korb im Schilf geschehen würde. Das ist mutig, neugierig und mitfühlend.

Eine weitere Frau tritt auf den Plan und durchkreuzt Pharao’s böse Pläne: Dessen Tochter. Sie findet den kleinen Jungen im Korb bei ihrem Gang zum Baden am Nil. Auf einmal sah sie im Schilf das Kästchen und ließes durch ihre Magd holen. Als sie es öffnete und hineinsah, lag ein weinendes Kind darin. Sie hatte Mitleid mit ihm und sie sagte: Das ist ein Hebräerkind.

Obschon sie die Identität des Babys sofort erkannte, und sicher wusste, dass dieses Kind kein Lebensrecht hatte und in Ägypten nicht willkommen war, reagierte sie mit Mitleid, Zärtlichkeit und Fürsorge. 

Und nochmals kommt Mose’s Schwester ins Spiel: Das Mädchen vermittelt nun die Mutter als Amme – naheliegend und doch gewagt.

Da sagte seine Schwester zur Tochter des Pharaos: Soll ich zu den Hebräerinnen gehen und dir eine Amme rufen, damit sie dir das Kind stillt? Die Tochter des Pharaos antwortete ihr: Ja, geh! Das Mädchen ging und rief die Mutter des Knaben herbei. Die Tochter des Pharaos sagte zu ihr: Nimm das Kind mit und still es mir! Ich werde dich dafür entlohnen. Die Frau nahm das Kind zu sich und stillte es. Als der Knabe größer geworden war, brachte sie ihn der Tochter des Pharaos. Diese nahm ihn als Sohn an, nannte ihn Mose und sagte: Ich habe ihn aus dem Wasser gezogen.

Der Anfang des Helden Mose lag in der Hand von Frauen: geboren, gerettet, umsorgt, betreut, adoptiert. Frauen, die sich nicht gefügt haben, die Forderungen nicht blind befolgten, die sich nicht einschüchtern liessen, die ihr Mitgefühl nicht abstellten, die keine geforderte Härte an den Tag legen mochten. 

Frauen, die einen anderen Blickwinkel hatten, die Lage anders interpretierten. 

Und: Frauen, die zusammenspannten.

An diese Frauen erinnere ich gerne zum Muttertag. Es sollen sich dadurch nicht nur die Mütter angesprochen fühlen, sondern ebenso die Berufsfrauen, die Männer, alle. 

Kinder fühlen sich übrigens stets angesprochen von dieser Erzählung; sie finden im Mädchen eine sympathische Identifikationsfigur.

Gott kann aus Bösem Gutes bewirken

Was die Geschichte von der Geburt und Kindheit des Mose ebenfalls deutlich macht: Gott kann auch aus dem Schlimmen Gutes entstehen lassen. Aus dem Leiden entstehen neue Möglichkeiten. Die Bedrohung verhalf später der Rettung. Mose war ein Hebräerkind und wuchs auf als ägyptischer Prinz. Diese beiden Identitäten befähigten ihn für seinen Auftrag.

Vertrauen wir also darauf, dass Gott auch heute aus misslichen Situationen Gutes wirken kann. 

Oder wie Dietrich Bonhoeffer aus dem Gefängnis schrieb: 

Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will.

Ausblick und Segen

Das Bild nebenan lässt mich an Mose’s Schwester Mirjam denken, die aufmerksam beobachtet, was mit ihrem Bruder passiert…

Und auch daran, dass morgen unsere Schulen wieder öffnen. Die Kinder – und wir alle – wieder mehr unterwegs sein werden.

Wir brauchen Gottes Schutz und Begleitung – und vielleicht den Mut und Geist der Frauen dieser Erzählung.

Ein bekannter biblischer Segen wird auf Mose zurückgeführt. Er sei allen für die kommende Woche zugesprochen: 

Gott segne dich und behüte dich. 
Gott lasse sein Angesicht leuchten 
über dir und sei dir gnädig.
Gott erhebe sein Angesicht auf dich
Und gebe dir Frieden. 

4. Mose 6,24-26