Gefühle brauchen ihren Platz

Im Fiire mit de Chliine vom Juni haben wir den Gefühlen Farben zugeteilt und beim Namen genannt: Violett für Angst, Rot für Wut, Blau für Traurigkeit und Gelb für Freude. Wenn ich etwas fühle, nimmt das Platz in mir ein – manchmal weniger, manchmal mehr. Es ist hilfreich, wenn ich das, was ich fühle, benennen und einem Platz zuordnen kann. Denn wenn man etwas in Worte fassen kann, wirkt es oft bereits weniger bedrohlich.

Im ersten Teil der Bibel, im Alten Testament, kommen Emotionen beim Menschen wie auch bei Gott vor und erhalten ihren Platz: jedes Gefühl wird nämlich einem Organ zugeordnet.

Das ist gar nicht so weit von unserer Sprache entfernt. Noch heute verbinden wir Gefühle mit Organen. Nur ein paar Beispiele: «Das geht mir an die Nieren», sagen wir, wenn uns etwas belastet. «Was ist denn dir über die Leber gelaufen?», fragen wir, wenn jemand schlecht gelaunt wirkt. Positive Gefühle sind genauso im Körper zuhause: Verliebte haben «Schmetterlinge im Bauch», gerührten Menschen wird es «warm ums Herz».

Ich finde es wunderbar, mit einem Blick in die Bibel die Gemeinsamkeiten der Menschen zu entdecken. Obwohl uns teilweise mehr als 2500 Jahre trennen und so vieles heutzutage anders ist, gibt es doch erstaunliche Parallelen. Gerade, wenn es um Gefühle und existenzielle Erfahrungen geht.

Im Hebräischen, der Sprache des Alten Testaments, gibt es eine enge Verbindung zwischen den Wörtern, die Gefühle beschreiben, und den Namen von Organen. Zum Beispiel sind «Nase» und «Wut» dasselbe Wort. Dies liegt nahe, wenn man sich vorstellt, dass man zornig schnaubt und so die angestaute Energie wie durch ein Ventil, nämlich die Nase, los wird. Ein anderes schönes Beispiel sind die Wörter «Gebärmutter» und «Mitgefühl» (ebenso Erbarmen, Mitleid). Sie haben dieselbeWortwurzel. Deswegen sind der Sitz und der Ursprung dieser Empfindungen nach alttestamentlicher Vorstellung im Mutterleib.

Auch Gott fühlt in der Bibel. Nebst anderem wie etwa Wut und Reue, verspürt Gott auch Mitgefühl. Wenn man an die gemeinsame Wortwurzel von «Gebärmutter» und «Mitgefühl» denkt, kann man gut davon sprechen, dass Gott eine Gebärmutter hat, wenn er – oder in diesem Moment wohl eher «sie» – Erbarmen fühlt. Oder als Gott mit Mutterschoss in Jesaja 46,3 beschrieben wird: Hört auf mich, (…), die ihr von Mutterschoss an von mir getragen und von Geburt an gehegt worden seid.. Wobei: Auch Männer «haben», wenn sie mitfühlen, sprachlich gesehen im Hebräisch eine «Gebärmutter».[1]

Eine Gemeinsamkeit in den biblischen Texten und meinem Umgang mit Gefühlen ist das Platzieren von Emotionen. Ein Gefühl braucht seinen Platz.

Wie erwähnt wird in der Bibel davon geschrieben, dass Gott fühlt und ebenso diese Gefühle Organen zuordnet; Gott bekommt dadurch menschliche Züge, wenn er etwa mit seiner Nase vor Zorn schnaubt.

Ich stelle mir deshalb vor, dass ich deswegen nicht nur bei mir Gefühle einordnen kann, sondern meine Gefühle auch bei Gott ihren Platz finden dürfen und da gut aufgehoben sind. Vielleicht habe ich ja mal zu wenig Platz in mir drin für all das, was mich bewegt und brauche einen weiteren Raum dafür.

Was machen Sie, wenn sich zuviel Gefühle in Ihnen angestaut haben?


Christina von Allmen, Sozialdiakonie

[1] Quelle: Thomas Staubli/Silvia Schroer, Menschenbilder der Bibel, Osterfildern: Patmos Verlag 2014, S.53.

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