Jetzt ist die Zeit

Während fünf Tagen gingen im Juni in Nürnberg und der Nachbarstadt Fürth im Rahmen des Deutschen evangelischen Kirchentages rund 2000 Veranstaltungen über die Bühne – darunter gesellschaftspolitische Diskussionen, interreligiöse Dialoge, Bibelarbeiten oder Informationen zu neuen Gottesdienstformen. Daneben fanden viele diverse grosse und kleine Kulturveranstaltungen statt. Alles unter dem Motto «Jetzt ist die Zeit».

Zeit – ein komische Ding. Manchmal vergeht sie schnell, manchmal langsam; und doch immer gleich schnell.

«Ha ke Zyt», hört man immer wieder. Doch jeder Tag hat 24 Stunden. Warum habe ich dann keine Zeit? Wofür habe ich Zeit? Wofür nicht? Ich kann die Zeit nicht anhalten, totschlagen, zurückstellen, schneller laufen lassen oder gar ganz abstellen.

Im Schlussgottesdienst hat sich Pfarrer Alexander Brandl Gedanken gemacht zum Bibeltext im Prediger 3:

Alles hat seine Zeit

Für alles gibt es eine Zeit. Heisst das, dass manche Zeiten vorbei sind und man den richtigen Zeitpunkt verpasst hat?

Für alles gibt es eine Zeit. Heisst das, dass alles immer möglich ist, ich muss mich nur entscheiden?

Für alles gibt es eine Zeit: Heisst das, dass man nur abwarten muss, es kommt alles, wie und wann es muss?

Für alles gibt es eine Zeit.

Für Pfarrer Alexander Brandl ist es das alles, aber auch noch viel mehr. Es soll wirklich alles seine Zeit haben. Dass wir allem die Zeit und den Raum geben dürfen oder sollen, die benötigt wird. Zeit fürs Tanzen, Trauern, Lachen, Weinen, für die Geburt und auch fürs Sterben. Wir finden nicht alles gut, aber alles gehört dazu.

Nichts soll verdrängt werden. Das Sterben nicht, das oft möglichst im Krankenhaus oder Heim versteckt bleibt. Der Krieg nicht, der uns erinnert, dass der Frieden nicht vom Himmel fällt. Das Tanzen nicht, wenn wir uns in Sorgen verbeissen.

Weiter wünschte sich Pfarrer Brandl auch, dass die Geburt eine Zeit hat. «Dass wir offen sind für das, was in Menschen neu geboren werden kann. Ich will, dass Schweigen seine Zeit hat. Wer schweigt, kann zuhören, wahrnehmen, verstehen – und lernen. Ich will, dass Heilen eine Zeit hat. Dass wir verzeihen können, wenn wir uns Wunden zugefügt haben, weil wir noch nicht so weit waren. Ich will, dass das Sterben eine Zeit hat. Dass wir ziehen lassen, was tot ist in uns, was uns lähmt und beschwert. Ich will nicht, dass Hass und Krieg ihre Zeit haben. Aber ich will eine Gesellschaft, die feinfühlig ist für die Kämpfe, die wir alle in uns austragen. So oft sieht man sie von außen nicht. Ich will, dass das uralte Versprechen der Bibel wahr wird. Dass Liebe eine Zeit hat. Ich bin überzeugt: Ein Zeitalter der Liebe ist möglich. Wir müssen uns nur dazu entscheiden.»

Diese Worte haben mich berührt und zum Nachdenken angeregt. Ich wünsche Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, dass Sie sich die Zeit nehmen, allem seine Zeit zu geben. Manchem muss man Zeit geben, um zu reifen, für anderes ist JETZT die Zeit.

Zum Schluss erwähne ich gerne noch einen Satz von Benjamin Ferencz, dem letzten jüdischen Ankläger in den Nürnberger Prozessen. Im Alter von 103 Jahren sagte er (kurz vor seinem Tod im April 2023):

«Lass Dir von niemandem erzählen, Deine Zeit sei vorbei!»

In diesem Sinne, nutzen Sie Ihre Zeit!

Nelly Furer, Sozialdiakonie

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