Sich geschehen lassen

Was wird 2024 werden? Oder, uns noch näher: Was ist da? Wie geht’s mit Weihnachten weiter?

Matthäus bettet die Weihnachtsgeschichte mit der Figur von König Herodes in eine Erzählung von Macht und Ohnmacht. Die Geburt in Bethlehem mündet in eine Flucht nach Ägypten. Es geht ums Überleben-Können. Und darin um eine Erfahrung, in der wir uns alle gleichen: Sicherheit gibt es für uns Geborene nicht. Wer «auf die Welt kommt», kommt in der Realität der Verletzbarkeit des eigenen Lebens und das seiner Lieben an.

Lukas führt uns in der Fortsetzung der Weihnachtsgeschichte zum Tempel nach Jerusalem. Die Erzählung vom Kind in der Krippe geht über in die Erzählung von der Pflege jüdischer Riten, wie sie acht Tage nach der Geburt eines männlichen Kindes üblich waren beziehungsweise sind: Das Opfer des Taubenpaares durch die Mutter und die Beschneidung des Knaben am achten Tag. Opfer und Bundeszeichen suchen die Gewissheit des Segens in allem Leben.

Und zwei halten sich beim Tempel auf, Tag für Tag, seit Jahren schon. Simeon und Hanna. Sie gehören nicht zusammen und sind doch verbunden, – in der Hoffnung auf Trost und Befreiung von der römischen Unterdrückung. Sie erleben in dem, was ist, aufs Mal Erfüllung. Das erlöst.

Simeon und Hanna sind Menschen mit einer prophetischen Begabung. Sie wissen nicht, was wann wie kommen wird. Prophet:innen sind keine Prognostiker:innen, sind weniger Wissende als dank einem bestimmten Bewusstsein «Sehende». Sie sehen in einem Jetzt, was in der Tiefe der Wirklichkeit Gegenwart ist und wie alles «im Grunde» zusammengehört. In dem, was sich ihnen eröffnet, lassen sie sich geschehen. In ihrem verletzbaren und sterblichen Leben finden sie Fülle.

Ihre Erfahrung verbindet sie mit allen. «Licht zeigt sich den Völkern.» Im bündnerischen Schams – genauer: in Zillis – steht die St. Martinskirche. Ihr Inneres birgt einen Kulturschatz: die romanische Kassettendecke mit den 153 Bildtafeln. Sie führen vor allem Szenen aus den Evangelien vor Augen. Hanna und Simeon begegnen wir also auch. Sie begleitet Maria und Joseph bei der Darbringung des Opfers, er streckt die Arme nach dem Christus-Kind aus, das Maria ihm über den Altartisch reicht. Beide wirken recht jung. Was sie als Erlösung und Erfüllung erleben, macht sie lebendig.

Festhalten lässt sich der erfüllende Augenblick nicht. Ein Segen aber, dass er möglich wurde … und nachhaltig wirken darf. Wir realisieren, dass «es» anders ist – wie wir stehen und uns bewegen, wie wir da sind und mit Herausforderungen umgehen. Gleichzeitig wird uns ab und wann die Freiheit geschenkt, uns einfach geschehen zu lassen. Ein gutes neues Jahr!

Urs Zangger, Pfarrer

Bildlegende: Erfüllung als Überraschung: Hanna (links aussen) mit Maria und Joseph beim Gang zum Dankopfer. Foto- © Stiftung Kirchendecke Zillis

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